Wie beeinflusst der Hydrocephalus das Leben der Betroffenen? Gemeint sind diesmal nicht Drucksymptome und Shuntversagen, sondern der Alltag – mit funktionierendem Ventil und ohne die Symptome einer akuten Krise.
Dr. Susanne Jürgensmeyer ist Psychotherapeutin mit eigener Praxis in München und hat sich in ihrer Dissertation an der Universität zu Trier mit der Untersuchung von Problemlösestörungen bei Patienten nach erworbener Hirnschädigung beschäftigt. Sie trug im März 2024 beim Fachkongress der ASBH in Weimar vor.
Bundesweit gibt es (Stand 2024) ca. 230 niedergelassene Neuropsychologen, und seit 2012 ist eine ambulante neuropsychologische Behandlung auch eine Leistung, die die Krankenkassen bezahlen. Bis zu 80 Sitzungen zu je 50 Minuten sowohl für Kinder als auch für Erwachsene können da abgerechnet werden.
Allerdings – und hier kommt das große „Aber“ – nur dann, wenn die Schädigung nicht länger als 5 Jahre zurück liegt und eigentlich nicht bei angeborenen Hirnschädigungen. Das bedeutet für Menschen mit einem konnatalen Hydrocephalus aufgrund der Spina bifida, dass sie diese Leistungen eigentlich nicht in Anspruch nehmen können. Die Ausnahme ist, wenn sich die Symptome nach einer Komplikation einstellen.
Zu den Beeinträchtigungen, mit denen Dr. Jürgensmeyer als Neuropsychologin zu tun hat, gehören somatische (den Körper betreffende) Störungen wie Gangunsicherheit, Schwindel, Übelkeit und Wetterfühligkeit, kognitive wie eine schlechte Gedächtnisleistung, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörung sowie Schwierigkeiten beim Planen und der Lösung von Problemen. Auch emotionale Auffälligkeiten („Dünnhäutigkeit“) können durch Schädigungen des Gehirns hervorgerufen werden.
Grundsätzlich ist das Ziel der neuropsychologischen Behandlung die Wiederherstellung verlorener Fähigkeiten. DIe Referentin nannte hier als Beispiel das Aufmerksamkeits-Training und die Neglect Therapie, die zum Beispiel für Patienten nach einem Schlaganfall infrage kommen. Die der geschädigten Hirnseite gegenüberliegende Körperhälfte wird in der Wahrnehmung vernachlässigt, weil Reize (fühlen, sehen, hören), die von dieser Seite ausgehen, im Gehirn aufgrund der Schädigung nicht verarbeitet werden können.
Weitere Therapieziele sind die Vermittlung von Strategien im Umgang mit der vorhandenen Störung (z.B. Gedächtnishilfsmittel) und integrative Maßnahmen.
Eine wichtige Aussage im Zusammenhang mit der neuropsychologischen Therapie bei Hydrocephalus ist die, dass man die Beeinträchtigung nicht „weg trainieren“ kann.
Diese Erkenntnis ist für Menschen mit Hydrocephalus sehr wichtig.
Exemplarisch berichtete Frau Dr. Jürgensmeyer von der Therapie einer 50jährigen Frau mit einer angeborenen Aquäduktstenose.
Sie litt unter Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen und zeigte eine reduzierte kognitive Belastbarkeit mit vegetativen Beschwerden.
Kognitive Belastung beschreibt die Menge an mentalen Ressourcen, die benötigt wird, um eine Aufgabe erfüllen zu können. Im Falle einer zu starken Beanspruchung reagiert der Körper mit Symptomen wie Schwindel oder Übelkeit, deren organische Ursache nicht zu erkennen ist. Salopp drückte Frau Dr. Jürgensmeyer es so aus: „Wenn zu viel Brassel ist, geht es einem schlecht“.
Um diesen Zusammenhang zu erkennen ist Selbstbeobachtung wichtig: wann treten die Beschwerden auf, und wie fühle ich mich in der Situation.
Die Therapie beinhaltete im beschriebenen Fall die Arbeit an der Erkenntnis, dass die Patientin sich permanent mehr abverlangte als sie leisten kann. Auch von anderen überschätzt zu werden bedeutete eine Belastung für sie, da sie im Grunde den Anforderungen nie gerecht werden konnte.
Hier ist es wichtig, an einer besseren Abgrenzung gegenüber den Mitmenschen zu arbeiten.
Der psychologische Begriff der Abgrenzung bedeutet, klar für sich zu definieren, was und wer man selbst ist. Dies ist wichtig, um sich zu schützen – vor Fremdbestimmung oder davor, Dinge tun zu müssen die man eigentlich gar nicht will oder Erwartungen erfüllen zu müssen, denen man nicht entsprechen kann.
Indem man zum Beispiel die eigene Beeinträchtigung besser kommuniziert, kann man der Überforderung begegnen. Es ist eine wichtige Erkenntnis, dass es nicht die eigene Schuld ist, wenn man den Erwartungen anderer nicht gerecht wird. So kann das Selbstwertgefühl wieder gesteigert und vorhandene Ressourcen, eigene Stärken, reaktiviert werden.
Eine reduzierte kognitive Belastbarkeit wird häufig in ihrer Bedeutung unterschätzt. Betroffene erhalten den Stempel, ein „Seelchen“ zu sein, wenig belastbar und überempfindlich.
Auch bilden die (medizin-) technischen ebenso wie die kognitive Testverfahren die Beschwerden nicht ausreichend ab.
Müssen Menschen mit einer Beeinträchtigung durch Hydrocephalus dauerhaft in einem stark leistungsorientierten System zurecht kommen, wirkt sich dies negativ auf die (nicht nur emotionale) Gesundheit aus.
Auch eine Veränderung der Lebensumstände kann nach einer symptomfreien Zeit wieder zu einer Verschlechterung führen.
Wetterfühligkeit, also die körperliche Reaktionen auf Veränderungen im Luftdruck, kann sich ebenfalls stark auf das Befinden auswirken.
Insgesamt wäre eine höhere Sensibilität für das Beschwerdebild sicher wünschenswert – ebenso wie der Zugang zu einer entsprechenden Therapie. Menschen mit konnatalem Hydrocephalus, die schon während ihres ganzen bisherigen Lebens unter den beschriebenen Beeinträchtigungen leiden, haben wie gesagt keinen oder erschwerten Zugang zu einer adäquaten Behandlung.
Die Tatsache, dass der Hydrocephalus trotz eines optimal eingestellten Ventils und ohne das Vorliegen einer akuten Infektion Probleme verursacht, wird oft nicht bedacht, und so fühlen sich viele Betroffene mit ihren Problemen alleine gelassen. Dabei könnte ihnen mit der Vermittlung verschiedener Handlungsstrategien geholfen werden, wieder zu einem besseren Selbstwertgefühl zu finden.