Zum Thema Sexualität und Spina bifida aus andrologischer Sicht trug Dr. Raimund Stein von der Universitätsklinik Mannheim vor.

Einhergehend mit der inzwischen sehr viel besseren interdisziplinären Versorgung und der damit verbundenen steigenden Lebenserwartung bei Menschen mit Spina bifida gewinnt das Thema Sexualität und Kinderwunsch zunehmend an Bedeutung.

Zur Statistik nahm Dr. Stein Bezug auf eine Studie aus dem Jahr 1998. 75% der damaligen Studienteilnehmer waren Männer. Von diesen hatten nur 41% eine für den Geschlechtsverkehr ausreichende Erektion, 18% hingegen gar keine. 80% gaben an, einen Samenerguss zu haben, allerdings nur 15% auf „normalem“ Weg, bei 80% gelangte das Sperma in die Blase. Dieses Phänomen wird „retrograde Ejakulation“ genannt und hängt damit zusammen, dass sich der Blasenhals während der Ejakulation nicht schließt und das Sperma so in die Blase gelangt statt durch den Penis nach außen.

Dies liegt an der Verletzung des Rückenmarks bei Spina bifida.

Die Fähigkeit zum Orgasmus liege laut der erwähnten Studie bei 27-75%, wobei Rollstuhlfahrer in dieser Hinsicht bessere Aussichten haben als Fußgänger.

Beim Mann beruht die sexuelle Erregung auf einem Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus (beide Nervensysteme regeln alle nicht bewusst zu steuernde Körperfunktionen wobei der Sympathikus für die Anspannung, der Parasympathikus für die Entspannung zuständig ist), dem zentralen (Nervenbahnen in Gehirn und Rückenmark) und dem peripheren Nervensystem (alle übrigen Nervenbahnen des Körpers).

Als große Beeinträchtigung im Bereich der Sexualität wird die fehlende Kontrolle über sexuelle Funktionen sowie die Inkontinenz (beziehungsweise die Angst vor ihrer Entdeckung durch den Partner) beschrieben.

PDE5-hemmende Medikamente, die allgemein bei Erektionsstörungen eingesetzt werden, weil sie die Blutgefäße erweitern, können auch bei Spina bifida eingesetzt werden. Sie helfen eine Erektion zu erreichen und sind sowohl bei hoher als auch bei tiefer Läsion anwendbar.

Etwas anders sieht es hingegen bei der Zeugungsfähigkeit bei Spina bifida aus: die bereits erwähnte Beeinträchtigung der Ejakulation bewirkt, dass das Sperma nicht auf normalem Wege zur Eizelle gelangen kann. Allerdings kann es durchaus aus der Blase zurückgewonnen und für eine künstliche Befruchtung eingesetzt werden.

Fazit: Der Wunsch nach einer Partnerschaft ist bei Menschen mit Spina bifida genauso ausgeprägt wie bei anderen. Medikamente können helfen, die Erektionsfähigkeit zu verbessern und auch den Erschwernissen der Fortpflanzung kann begegnet werden.

Mindestens ebenso wichtig sind jedoch Neugier und Offenheit dem eigenen Körper gegenüber um eigene erogene Zonen zu entdecken. Auch eine sexual- und/oder psychotherapeutische Begleitung kann helfen, den Zugang zur eigenen Sexualität zu finden.

Die Sexualität der Frau wurde bisher nur unzureichend untersucht und wurde leider auch in diesem Vortrag nicht thematisiert.

Es gibt jedoch einen Artikel speziell zur Sexualität bei Frauen mit Spina bifida, und weitere interessante Artikel zum Thema: Spina bifida and sexuality, Sexualität bei Spina bifida

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert