|

Exekutivfunktionen

Im Zusammenhang mit Spina bifida und Hydrocephalus wird häufig erwähnt, dass es zu einer Einschränkung der Exekutivfunktionen kommen kann.

Doch was sind eigentlich „Exekutivfunktionen“, was bedeutet diese Einschränkung im Alltag, wie macht sich dies bei mir oder meinem Kind bemerkbar, und gibt es etwas, was man dagegen tun kann?

Man kann die Exekutivfunktionen des Gehirns mit der Aufgabe des Towers auf einem Flugplatz zur Hauptreisezeit vergleichen: Er ist die ordnende Instanz, die einen reibungslosen, effizienten Ablauf des Betriebes garantiert.

Ähnliches leistet das Gehirn. Es wertet die Reize aus, die über alle Sinne auf uns einströmen, blendet aus, was nicht wichtig ist und befördert wichtige Informationen in unser Arbeitsgedächtnis, damit es für die nächsten Minuten verfügbar ist. Es plant die nächsten notwendigen Arbeitsschritte, stellt Strukturen und Verbindungen her. Auch dass wir unsere Emotionen (Frustration, Ängste) regulieren und neue Herangehensweisen an Probleme finden können, ist eine Leistung unseres Gehirns, ohne die viele Aufgaben für uns nicht lösbar wären.

Durch die Exekutivfunktionen sind wir in der Lage, situationsgerechte Entscheidungen zu treffen, Aufgaben zu planen, Zeitpläne zu erstellen und einzuhalten, Impulse und Routinen zu unterdrücken und Emotionen zu kontrollieren, damit wir ein bestimmtes Ziel erreichen, Probleme lösen können.

Das ist tatsächlich eine enorme Leistung, die unser Gehirn da vollbringt.

Sind die Exekutivfunktionen beeinträchtigt, fällt es den Betroffenen schwer, aufmerksam zu bleiben, sich zu erinnern, organisiert zu sein und Ordnung zu halten. Zeitmanagement und das Lösen komplexer Probleme stellt für sie eine große Herausforderung dar. Eine Störung der Exekutivfunktionen ist mehr, als ab und an etwas zu vergessen. Sie kann es sehr schwer machen, Schule und (Arbeits-) Alltag zu bewältigen.

Die Psychologin Kristin Krajewski schrieb hierzu, dass man zwischen vier grundlegenden Exekutivfunktionen unterscheidet: der Fähigkeit der Hemmung, des Wechselns, des Aktualisierens und des Initiierens. Unter „Hemmung“ versteht man die Fähigkeit, irrelevante Reize, Reaktionen und Handlungen spontan unterdrücken zu können. Kann man dies nicht, ist man schnell abgelenkt oder gibt Impulsen direkt nach. Mit „Wechseln“ ist die Fähigkeit gemeint, aufgrund äußerer Umstände nötig gewordene Veränderungen im Denken, Handeln oder Tun problemlos vornehmen zu können. Fehlt diese Fähigkeit, tun sich Betroffene schwer mit Veränderungen im Alltag. Mit „Aktualisieren“ ist die Fähigkeit gemeint, Informationen im Arbeitsgedächtnis zu behalten und sie durch neue Informationen aktualisieren zu können. Wer hiermit Probleme hat, verlegt Dinge, kann Gesprächen nicht gut folgen und auch eine Abfolge von mehreren Arbeitsanweisungen nicht abarbeiten. „Initiieren“ bedeutet, dass man in der Lage ist, auch ungeliebte Aufgaben direkt in Angriff zu nehmen, sich selbst zu motivieren. Wer hiermit Schwierigkeiten hat, neigt zu Prokrastination, zur „Aufschieberitis“.

Warum es durch den Hydrocephalus zu Beeinträchtigungen der Exekutivfunktionen kommt, kann verschiedene Ursachen haben.

Mit dem Einsetzen eines Shunts ist der Hydrocephalus nicht verschwunden. Die Ableitung sichert lediglich das Überleben, indem sie verhindert, dass der Druck auf das Gehirn zu stark ansteigt. Die Druckverhältnisse können jedoch trotz eines funktionierenden Ventils schwanken, was für das Gehirn eine große organische Belastung bedeutet. Auch kommt es oft bereits zur Schädigung, bevor ein Shunt gelegt wird, oder wenn das Shuntventil versagt und ausgetauscht werden muss. Zudem kann die Möglichkeit eingeschränkt sein, dass die verschiedenen Hirnregionen mit einander kommunizieren. In unserem Gehirn gibt es verschiedene Regelkreisläufe, an denen unterschiedliche Hirnareale beteiligt sind. Nur wenn hier das Zusammenspiel funktioniert, funktioniert auch die Exekutive.

Einer dieser Regelkreisläufe ist zum Beispiel der fronto-striato-thalamische Kreislauf. Er ist derjenige „Schaltkreis“ im Gehirn, der unsere Handlungen daraufhin überwacht, ob sie uns unserem Ziel näher bringen oder nicht. Beteiligte Hirnregionen sind der präfrontale Kortex (im Stirnlappen) und der Thalamus, eine zentrale Struktur im Zwischenhirn, die als Umschaltstation für Sinnesinformationen fungiert. Der Thalamus bildet die seitliche Begrenzung des dritten Ventrikels. Die linke und rechte Seite des Thalamus sind durch eine Brücke mit einander verbunden. Diese Verbindung wird ebenfalls vom dritten Ventrikel umspült. Hirnregionen, die unmittelbar an die Ventrikel grenzen, werden durch erhöhten Druck und das Zu viel an Hirnflüssigkeit geschädigt. Auch wenn bei dem mit Spina bifida assoziierten Hydrocephalus der vordere und an den Exekutivfunktionen maßgeblich beteiligte Teil des Gehirns nicht sichtbar geschädigt ist, kann die für die Ausführung der Exekutive wichtige Kommunikation mit anderen Gehirnarealen – wie zum Beispiel dem Thalamus – eingeschränkt sein. Die genauen Zusammenhänge hier sind zwar weniger deutlich, als wenn eine bestimmte Gehirnregion zum Beispiel durch eine Blutung, einen Tumor oder eine Verletzung geschädigt ist, aber vom Ergebnis her ist es ähnlich: die Zusammenarbeit der einzelnen Gehirnregionen funktioniert nicht so wie bei anderen Menschen.

Was kann man tun?

Oft wird die Beeinträchtigung der Exekutivfunktionen im Zusammenhang mit ADHS genannt. Der amerikanische Psychologe Dr. Russel Barkley geht sogar so weit zu sagen, dass die Bezeichnung ADHS (oder im Amerikanischen ADHD) falsch ist, und die Störung eigentlich als EFDD bezeichnet werden müsste: als Ausdruck einer Störung der Exekutivfunktionen („executive functioning deficit disorder“).

Daher können Lernstrategien, die Menschen mit ADHS helfen, durchaus auch bei Menschen mit Hydrocephalus angewendet werden. Das ADHS-Portal der AOK kann hier vielleicht hilfreich sein (https://adhs.aok.de/), zumindest wenn es um so grundlegende Dinge geht wie den immer wiederkehrenden Streit um die Hausaufgaben zu vermeiden und Teufelskreise zu durchbrechen.

Gute Erklärungen und praktische Hilfen, die auch für uns und unsere Kinder nützlich sein können, bietet die Seite von Additudemag, einem Magazin rund um ADHS, das vierteljährlich in den Vereinigten Staaten erscheint (Link unter dem Beitrag):

  • Arbeitshilfen wie Post-Its, Karteikarten, To-do-Listen zum Abhaken können dem Arbeitsgedächtnis auf die Sprünge helfen.
  • Wenn das Kind die Zeit vergisst, können Timer helfen, die die Zeit sicht- und erfahrbar machen.
  • Wenn die intrinsische Motivation nicht ausreicht, kann es helfen, kleine Belohnungen in Aussicht zu stellen.
  • Auch das Einbauen von Erholungspausen (jeweils zwischen 3 und 10 Minuten) und das Unterteilen von Aufgaben in kleine, handhabbare Portionen, kann Kindern mit einer Störung der Exekutivfunktionen das Erledigen von Aufgaben erleichtern.
  • Alle Kinder brauchen Ermutigung – und Kinder mit einer Störung der Exekutivfunktionen noch viel mehr als andere. Das Loben auch kleiner Erfolge und häufiger Zuspruch („Du kannst das schaffen!“) kann zusätzlich anspornen und bestärken.
  • Körperliche Bewegung als Ausgleich sollte nicht zu kurz kommen und kann helfen, neue Energie zu tanken.
  • Mitgefühl zu zeigen ist ebenfalls sehr wichtig. Das Kind ist vielleicht genau so klug wie seine Klassenkameraden, hat aber weniger Möglichkeiten, das zu zeigen. Vermutlich leidet es unter dieser Situation am meisten. Und wenn etwas schief gelaufen ist, ist es weit besser zu versuchen, den Grund dafür zu verstehen, als die Beherrschung zu verlieren oder zu bestrafen.

Was für Spina bifida als Gesamtbild gilt, zeigt sich auch bei der Thematik der Beeinträchtigung durch den Hydrocephalus: Es gibt kein typisches Bild, bei jedem sind die einzelnen Aspekte und Symptome unterschiedlich ausgeprägt. Umso wichtiger ist es daher, aufmerksam zu bleiben, Verständnis zu haben und nach Wegen zur Unterstützung zu suchen.

Quellen und weiterführende Links

zum Thema Exekutivfunktionen:

Executive Dysfunction? Sign and Symptoms of EFD

Kristin Krajewski, Treatment-Interaction und personalisierte Therapie

https://flexikon.doccheck.com/de/Exekutivfunktion

Vortrag von Dr. Russel Barkley zum Thema ADHD und EFDD

Zum Thalamus:

https://viamedici.thieme.de/lernmodul/558339/530113/thalamus

Dissertation „Die Bedeutung des Thalamus für das menschliche Handlungsüberwachungssystem im fronto-striato-thalamo-corticalen Netzwerk“ von Sebastian Seifert

Hirnventrikel:

https://flexikon.doccheck.com/de/3._Hirnventrikel

Lernstrategien und Hilfen:

https://gam-medical.de/adhs-lernstrategien-tipps/

https://www.aok.de/pk/leistungen/kinder-familien/adhs-elterntrainer

https://additudemag.com/slideshows/boost-excecutive-function/

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert