Dr. Johannes Urban vom Klinikum Josefinum in Augsburg berichtete auf der Fachtagung der ASBH in Fulda 2024 von den medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten bei therapie-schwierigen neurogenen Blasenfunktionsstörungen.

Die Wirkstoffe Mirabegron und Trospiumchlorid, um die es im Vortrag von Dr. Urban geht, sind noch nicht für Kinder zugelassen, könnten aber eine gute Alternative zum Oxybutynin sein, das bisher meistens zum Einsatz kommt.

Damit die Zusammenhänge hier etwas klarer werden ein kurzer Exkurs:

Die Funktion der Blase beruht auf einem komplexen Zusammenspiel vieler verschiedener Faktoren. Um dies zu verstehen muss man sich den Aufbau des Ganzen anschauen:

Die Blase ist ein Hohlorgan, das dazu dient, den Urin im Körper zu sammeln. Die Blasenwand besteht aus glatten Muskelfasern. Wie andere Muskelfasern im Körper auch können sie sich anspannen und entspannen. Gesteuert wird die Spannung/Entspannung des großen Blasenmuskels (des „Detrusors“) durch das vegetative Nervensystem. Dieses ist zuständig für unbewusste, lebenswichtige Funktionen, die im Körper ohne unser Zutun ablaufen, wie zum Beispiel der Herzschlag und die Atmung, aber auch die Verdauung und der Stoffwechsel. Der Blasenschließmuskel („Sphinkter“) schließt die Blase nach unten hin. Im Sphinkter gibt es zwei Muskelarten, von denen die eine ebenfalls vom vegetativen Nervensystem gesteuert wird, die zweite Muskelart jedoch somatisch, das heißt willkürlich angesteuert werden kann.

In der Füllphase müssen die Muskeln des Detrusors entspannt sein, damit der Urin sich darin ansammeln kann. Gleichzeitig muss der Sphinkter angespannt sein, um zu verhindern, dass Urin aus der Blase herausläuft.

In der Entleerungsphase muss es dann genau umgekehrt sein: die Muskulatur des Detrusors muss sich zusammenziehen, während die Muskulatur des Sphinkters sich entspannt.

Das An- und Entspannen von Muskeln im Körper wird durch Impulse von Nervenfasern bewirkt. Beim Übergang vom Nervenende zum Muskel werden im Falle einer Reizübertragung Botenstoffe (Neurotransmitter) ausgeschüttet, die über entsprechende Empfänger („Rezeptoren“) am Muskel ein Reaktion bewirken. Es gibt verschiedene Typen dieser Rezeptoren, die jeweils auf einen andere Art Botenstoff reagieren.

Im Falle der Nerven, die den Blasenmuskel steuern, ist der ausgeschüttete Botenstoff das Acetylcholin und die Rezeptoren (bezeichnet als M1 bis M3) an der glatten Muskulatur der Blase öffnen daraufhin Kanäle in der Zellwand, durch die unter anderem Kalzium freigesetzt und eine Kontraktion des Muskels bewirkt wird.Sie werden daher auch „cholinerge“ Rezeptoren genannt.

Bei neuronalen Defekten wie Spina bifida ist das Zusammenspiel dieser verschiedenen Mechanismen auf der Ebene des Nervensystems gestört, weswegen man auch von einer „neurogenen Blase“ (besser: neurogenen Blasenfunktionsstörung) spricht.

An den Nervenzellen wird zu viel von dem Botenstoff (Acetylcholin) ausgeschüttet, wodurch es zu einer Daueranspannung der Blasenmuskulatur kommt.

Medikamente, die die Ausschüttung von Acetylcholin verhindern, heißen „Anticholinergika“ (also Mittel, die dem Acetylcholin entgegenwirken, zum Beispiel das oben genannte Oxybutynin). Sie werden bei der Therapie neurogener Blasenfunktionsstörungen eingesetzt und entspannen den Detrusor.

Da Acetylcholin jedoch auch an vielen anderen Stellen im Körper als Botenstoff zum Einsatz kommt, unter anderem auch im Zentralen Nervensystem, haben Medikamente wie Oxybutynin, Propiverin oder Trospium einige unerwünschte Nebenwirkungen. (siehe z.B. „Oxybutynin-associated Cognitive Impairment: Evidence and Implications for Overactive Bladder Treatment“

).

Daher scheint es empfehlenswert, nach Alternativen für die Behandlung der neurogenen Blasenfunktionsstörung zu suchen.

Es gibt an der Blase auch noch andere Typen von Rezeptoren, die sogenannten „Adrenergen Rezeptoren“ (bezeichnet als α 1 und 2 und β 1 bis 3). Diese reagieren auf die Botenstoffe Adrenalin und Noradrenalin, und auch sie beeinflussen die An- und Entspannung der Blasenmuskeln.

Mirabegron ist ein Medikament, das gezielt auf diesen Rezeptortyp – genauer gesagt den β-3-Adrenozeptor – wirkt. Dieser ist hauptsächlich im Detrusor Muskel der Blase aktiv, der für die Blasenentleerung verantwortlich ist. Wenn Mirabegron diesen Rezeptor aktiviert, entspannt sich die glatte Muskulatur der Harnblase, bewirkt dort eine Dehnung, und die Blase kann mehr Urin speichern. Somit empfiehlt sich diese Behandlung z.B. auch bevor man eine Blasenaugmentation durchführt.

Dr. Urban beschrieb seine Vorgehensweise bei der Umstellung auf die Medikation mit Mirabegron so, dass er vor dem Beginn der Behandlung ein EKG zum Ausschluss von Herzerkrankungen, sowie eine Blutdruck- und eine Pulsmessung durchführt.

Dann wird Mirabegron (Präparat Betmiga) zusätzlich zum Oxybutynin gegeben. Wenn dies gut vertragen wird, wird zur Erfolgskontrolle eine Urodynamik Untersuchung durchgeführt. Bei zufriedenstellendem Ergebnis erfolgt schließlich eine Umstellung auf die Kombination von Trospiumchlorid und Mirabegron.

Er berichtete, dass er gute Erfolge bei der Kombination von Vesoxx und Betmiga, bzw. Spasmexx und Betmiga beobachten konnte. Sowohl die Blasenkapazität als auch die Druck- und Refluxsituation habe sich bei seinen Patienten verbessert.

Der Einsatz im Bereich der Pädiatrie ist allerdings nicht offiziell genehmigt. Das heißt, das Medikament Betmiga ist noch nicht für Kinder zugelassen, darf aber „zulassungsüberschreitend“ eingesetzt werden. Auch sind die Kosten für Mirabegron weit höher als die für Oxybutynin.


Die Medikamente :

Vesoxx, Oxybutynin, Kentera…: Wirkstoff Oxybutynin hydrochlorid, wirkt auf muskarinischen Acetylcholinrezeptor (=Anticholinergikum), M1-M3 Rezeptoren; empfohlen für Kinder ab 5 Jahren (ähnlich: Propiverin, welches ebenfalls ein Anticholinergikum ist und bei Kindern ab einem Jahr zum Einsatz kommt)

Spasmed, Spasmex, Trospium, Urivesc…: Wirkstoff Trospiumchlorid, wirkt auf Acetylcholin Rezeptoren (=Anticholinergikum), M1 – M3 Rezeptoren, so gut wie keine Durchdringung der Blut-Hirn-Schranke möglich; Empfehlung nicht für Kinder unter 12 Jahren (fehlende Daten)

Betmiga: Wirkstoff Mirabegron, wirkt auf Adrenorezeptoren, β3 – Rezeptor (Beta-3-Adrenozeptor-Agonist); Zulassung für Erwachsene

Weitere Informationen aus:

https://www.urologielehrbuch.de/harnblasenanatomie_05.html

https://simpleclub.com/lessons/biologie-somatisches-vegetatives-nervensystem

https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/gehirn-nerven/so-steuern-sympathikus-und-parasympathikus-unseren-koerper

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38296001

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