Ich durfte in diesem Jahr zum zweiten Mal an der Wissenschaftlichen Tagung der ASBH in Fulda teilnehmen und möchte hier über meine persönlichen Eindrücke und „highlights“ berichten – und zwar aus meiner Perspektive als Mutter eines Kindes mit Spina bifida und Hydrocephalus und ohne medizinische Kenntnisse, die über das Expertenwissen hinausgehen, das man sich zwangsläufig mit der Zeit aneignet, wenn das eigene Kind oder man selbst von dieser Behinderung betroffen ist.

Im zweiten große Themenbereich des ersten Tages wurden umfassend aktuelle Informationen zur pränatalen Behandlung von Spina bifida präsentiert. Hierzu hatte die ASBH drei Ärzte eingeladen, die ihre jeweilige Operationsmethode vorstellten.

Wenn bei der Schwangerschaft eine Spina bifida diagnostiziert wird, gibt es ein sehr kleines Zeitfenster, in dem es möglich ist, das Kind im Mutterleib zu operieren. Zwischen der 21. und 26. Schwangerschaftswoche ist dies möglich, sodass man als Eltern wenig Zeit hat, sich gedanklich mit diesem Thema auseinander zu setzen.

Grundsätzlich gibt es drei Methoden für die pränatale Operation mit jeweils unterschiedlichen Risiken und Vorteilen, über die Dr. Luca Mazzone vom Kinderspital Zürich, Dr. Philipp Kunkel von der Universitätsmedizin Mannheim und Dr. Siegmund Köhler von der Universitätsklinik Marburg-Gießen vortugen.

Der Grund für eine vorgeburtliche Operation wird darin gesehen, dass zwar die ursprüngliche Schädigung durch den fehlenden Verschluss des Neuralrohrs (fehlende Neurulation) nicht behoben, wohl aber eine weitergehende Schädigung des offen liegenden Nervengewebes durch das Fruchtwasser und das Scheuern an der Gebärmutterwand verhindert werden kann. Diese sogenannte „Two-hit-hypothesis“ wird seit der MOMS-Studie angenommen („A Randomized Trial of Prenatal versus Postnatal Repair of Myelomeningocele“, The new england journal of medicine, 17. März 2011; Interessierte können sie hier nachlesen: https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/nejmoa1014379). Auch ergab die Studie an 183 Frauen, deren Babys etwa zur Hälfte prä- und postnatal operiert wurden, dass weitere Fehlbildungen des Gehirns sehr viel geringer war und die Notwendigkeit eines Shunts bei pränataler OP bei 40%, postnatal jedoch bei 82% lag.

1. Die offene fetalchirurgische Methode

Den Anfang machte Dr. Mazzone, der in Zürich nach der offenen Methode operiert. Gleich zu Beginn seines Vortrages machte er klar, wie schwierig diese Situation für die werdenden Eltern ist. Viele kommen mit der Vorstellung zu ihm, dass durch die Operation die Schädigung behoben, die Behinderung beseitigt werden kann. Dies ist jedoch nicht der Fall, und so muss in einer bewusst nicht direktiven Beratung (erst per Telefon, dann vor Ort) in extrem kurzer Zeit viel Wissen vermittelt werden.

Durch die operative Versorgung der Zele wird versucht, Funktionen zu erhalten und weitere Schädigungen zu verhindern. Tatsächlich sei es bei den in Zürich behandelten Fällen oft so, dass die funktionelle Lähmung (also die tatsächliche Beeinträchtigung) geringer sei, als die Schädigung, die aufgrund der Höhe der Läsion zu erwarten gewesen wäre.

Die in Zürich angewandte Methode ist die, dass durch einen Schnitt in der Gebärmutter das Baby operiert wird. Eventuelle Verwachsungen des Nervengewebes werden gelöst („untethering“) und die Cele abschließend wasserdicht verschlossen. Das Risiko einer Frühgeburt, die dann weitere Beeinträchtigungen für das Kind mit sich brächten, sei mittlerweile nicht mehr so groß wie früher. Dennoch bestehen Risiken für Mutter und Kind, die vor einer Entscheidung sehr gut abgewogen müssen.

2. Die minimalinvasive Methode

Von der Uniklinik Mannheim trug Dr. Philip Kunkel, Neurochirurg, vor. Dort operiert Prof. Dr. Thomas Kohl den offenen Rücken fetoskopisch. In Mannheim werden sowohl die pränatale als auch die postnatale Operation bei Spina bifida durchgeführt. Indikationen, bei denen die fetoskopische Methode empfohlen wird, sind hohe Läsionen mit noch gut erhaltener Beinmotorik und sehr große Defekte wie z.B. die Myeloschisis, bei der das Nervengewebe nicht von Haut bedeckt ist, sondern völlig frei liegt. In diesen Fällen sind die Vorteile einer Behandlung noch im Mutterleib gegenüber einer nachgeburtlichen Versorgung besonders groß. Bei niedrigen Läsionen (S1 oder tiefer) sowie höher gradigen Lähmungen (wenn also bereits im Mutterleib zu sehen ist, dass keine oder nur sehr schlechte Beinmotorik vorhanden ist) sei eher eine postnatale Operation angeraten.

Auch sei durch eine Verbesserung der Operationsmethoden in den letzten Jahren inzwischen das Risiko einer Frühgeburt nicht mehr so groß. Selbst bei einem vorzeitigen Blasensprung nach der OP könne die Schwangerschaft in der Klinik fortgesetzt werden.

3. Die Hybrid-Methode

Dr. Köhler von der Universitätsklinik Gießen-Marburg stellte die „Hybrid-Methode“ vor, bei der die Gebärmutter durch Bauchschnitt freigelegt und herausgehoben wird, aber die Operation am Baby unter Ultraschall mikrochirurgisch erfolgt. In enger Zusammenarbeit mit dem „International Fetoscopic Myelomeningocele Repair Consortium“ wird nach dieser Methode in Giessen 2021 operiert, anfangs in Anwesenheit oder mit Live-Zuschaltung der Kollegen in Houston, wo diese Operationsmethode ursprünglich etabliert wurde. In Marburg wurden so 20 Patientinnen nach dieser Methode operiert (Stand Juli 2023). Die Vorteile der Hybrid Methode lägen darin, dass das Risiko für die Gesundheit der Mutter geringer ist, und die Möglichkeit einer Entbindung ohne Kaiserschnitt besteht. Eine ausführliche Darstellung dieser OP-Methode zum Nachlesen findet ihr unter https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37568553/, der Volltext der Arbeit ist frei verfügbar.)

Alle vier Methoden (die postnatale Versorgung der Spina bifida sowie die drei pränatalen Operationsmethoden) haben sicher ihre Vor- und Nachteile. Die richtige Entscheidung für sich und sein Baby zu treffen bedeutet für die werdenden Eltern eine große Belastung. Eine gründliche und ergebnisoffene Beratung der verschiedenen Behandlungszentren und ein Abwägen der Risiken muss hier innerhalb eines sehr kleinen Zeitfensters erfolgen. Auch die Information darüber, dass die Spina bifida bei keiner der Behandlungsmöglichkeiten danach „weg“ ist, gehört dazu.

Die Präsentationen zu diesem Thema waren sehr beeindruckend und der Austausch sehr sachlich und wertungsfrei.

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