Urologische Problematiken in der Adoleszenz
Dr. Raimund Stein, Leiter des Zentrums für Kinder- Jugend- und rekonstruktive Urologie der Universitätsklinik Mannheim, trug in Weimar zum „Urologischen Follow-Up“ vor. Die Problematiken bei erwachsenen Menschen mit Spina bifida können Inkontinenz, Harnstau, fieberhafte Harnwegsinfekte, Reflux, Steine (in der Blase, den Nieren) sowie chronische Niereninsuffizienz als Folge häufiger oder verschleppter Harnwegsinfekte umfassen.
Dr. Stein betonte, dass das Gespräch im Rahmen der urologischen Untersuchung sehr wichtig sei. Helfen könne hier, wenn der Patient ein Kathetertagebuch zum Termin mitbringt. Aufzeichnungen dazu, wie viel getrunken wird und wie oft man katheterisiert und abführt sollten darin enthalten sein. Auch eine Liste der Medikamente, die regelmäßig eingenommen werden, ist wichtig. Diese können nämlich auch Wechselwirkungen mit den Anticholinergika (wie z.B. Propiverin) haben, die bei Inkontinenz zur Entspannung des großen Blasenmuskels eingesetzt werden.
Um die Nierenfunktion bei Menschen mit Spina bifida anhand erhobener Laborbefunde richtig beurteilen zu können sei es wichtig, bei der Diagnostik nicht nur den Kreatininwert zu bestimmen, sondern auch den Cystatin-C Wert.
Kreatinin entsteht im Stoffwechsel aus Kreatin. Dieses wird für die Versorgung der Muskulatur mit Energie benötigt und vom Körper selbst gebildet, aber auch über die Nahrung (Fisch und Fleisch) aufgenommen.
Im Stoffwechsel wird Kreatin in Kreatinin umgewandelt und über die Nieren ausgeschieden. Die Bestimmung des Kreatininwertes ist daher ein wichtiger Laborwert, der hilft die Funktion der Nieren zu beurteilen. Bei Menschen mit Spina bifida ist hier jedoch Vorsicht geboten, denn ihre im Vergleich zum Durchschnitt oft geringere Muskelmasse kann den Kreatininwert ebenfalls beeinflussen.
Die Bestimmung des Cystatin-C-Wertes ist daher hier aussagekräftiger. Cystatin-C ist ein in den Körperzellen in relativ konstanter Menge gebildetes Eiweiß, das den Abbau von Proteinen verhindert. Es wird über die Nieren aus dem Blut heraus gefiltert. Die Konzentration von Cystatin-C im Blut kann also als Indikator dienen, um eine Niereninsuffizienz festzustellen. Der Wert wird nicht von Körpergewicht, Muskelmasse oder Geschlecht beeinflusst und ist daher aussagekräftiger und sensitiver.
Wie in anderen medizinischen Bereichen bei Spina bifida ist es auch in der Beurteilung der urologischen Situation wichtig, interdisziplinär zu arbeiten. Verändert sich zum Beispiel die Kontinenz kann dies ein Symptom des „tethered cord“ sein, also der Verwachsung des Rückenmarks mit dem umliegenden Gewebe.
Vorsicht ist in der Diagnostik bei der Verwendung von Urin-Teststäbchen („Urostix“) geboten. Es sollte kein Harnwegsinfekt behandelt werden, bei dem keine Symptome vorhanden sind. Wenn also der Urin laut Test weiße Blutkörperchen und/oder Nitrit aufweist ohne dass sich ansonsten Symptome zeigen, sollten nicht gleich Antibiotika verabreicht werden. Die Homöopathie bietet mit Cranberry-Präparaten, die den Urin ansäuern und das Überleben von Bakterien erschweren, und Mannose (eine Art Zucker), welche E. Coli-Bakterien ummantelt und so verhindert, dass sie sich an der Blasenwand festsetzen, gute Möglichkeiten, einen Harnwegsinfekt zu bekämpfen. Allerdings sollte bei auftretendem Fieber der Infekt antibiotisch behandelt werden.
Bei Spina bifida soll die Kontrolle von Niere, Blase und Darm mittels Ultraschall immer zur Routineuntersuchung dazu gehören. Sie kann zeigen, ob weitere Untersuchungen angeraten sind – und auch, ob das Blasen- und Darmmanagement tatsächlich so durchgeführt wird, wie es vom Patienten angegeben wurde.
Weitere Erkenntnisse bringt die Urodynamik. Hier wird ein Katheter in die Blase eingeführt, über den Flüssigkeit eingeleitet und gleichzeitig der Druck in der Blase gemessen werden kann. Eine zweite Mess-Sonde im After misst den Druck, der von außen (z.B. beim Pressen oder Husten) auf die Blase einwirkt.
Weniger aussagekräftig ist die Szintigraphie. Unterscheiden wird hier zwischen MAG-3 Szintigraphie, die die Funktion jeder einzelnen Niere seitengetrennt abbilden kann, und dem DMSA-Scan, der Gewebsschädigungen in der Niere sichtbar machen kann. Eine Szintigraphie, so Dr. Stein, sei nur dann sinnvoll, wenn sich aus ihrem Ergebnis auch eine Therapiekonsequenz ergibt: ob z.B. ein vorhandener Reflux (Aufsteigen von Harn aus der Blase in die Nieren) operativ behandelt werden muss. Sie gehöre nicht zu den empfohlenen Routineuntersuchungen.
Weiterhin wichtig für das Follow-up ist, ob z.B. eine operative Vergrößerung der Harnblase durchgeführt wurde (Augmentation). Die Gefahr, dass sich nach einer solchen Operation ein Tumor an der Blase bildet, liegt, so Dr. Stein, im einstelligen Prozentbereich. Eine Kontrolle sollte daher in diesem Fall jährlich stattfinden.
Wichtig für das Wohl von Blase und Nieren sind daher – während des gesamten Erwachsenenlebens:
- Führen eines Miktions- / Abführtagebuchs mit Trinkprotokoll zur Vorbereitung des Besuchs beim Urologen
- routinemäßige Ultraschallkontrollen von Blase und Niere
- Urodynamische Untersuchung in regelmäßigen, dem Erkrankungsbild angemessenen Abständen
- Bei Blasenaugmentation jährliche Kontrolle zur Krebsvorsorge